Fränkisches Verfahren: Unterschied zwischen den Versionen

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Das fränkische Verfahren vor Gericht war das Verfahren, nach dem die [[Lateiner]] des Königreichs Jerusalem das Recht sprachen. Es wurde angewendet vor dem [[Bürgergericht]] und dem [[Hohes Gericht|Hohen Gericht]], wenn jenes zu Gericht saß.
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Das fränkische Verfahren wurde am [[Bürgergericht]] und an der [[Haute Cour]] angewendet. Es verlief nach genau festgelegten Prozeduren, die unten beschrieben werden. Verfahrenstechnisch bestand kein Unterschied zwischen Straf- und Zivilverfahren. Das Verfahren wurde geleitet von einem Richter (zum Beispiel dem [[Vizegraf]]en oder dem [[König]], aber die Entscheidungen wurden gefällt von den Beisitzern - im [[Bürgergericht]] die [[Schöffe]]n, in der [[Haute Cour]] die [[Baron]]e.
  
==Grundlegende Prinzipien==
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==Klage==
  
Das fränkische Verfahren kannte verfahrenstechnisch keinen Unterschied zwischen Straf- und Zivilverfahren. Jeder war selbst dafür verantwortlich, Leute, die ihm etwas schuldeten oder ihm Unrecht angetan hatten, vors Gericht zu bringen. Es galt das Prinzip: Wo kein Kläger, da kein Urteil. Richter durften keinen Prozess von Amts wegen einleiten. Wenn der Geschädigte keine Klage einbringen konnte, z.B. weil der Angeklagte ihn ermordet hatte, so lag es an der Familie, den Freunden oder dem Herrn des Geschädigten, zu klagen.
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EIn Gerichtsverfahren konnte nur eingeleitet werden, wenn jemand vorm zuständigen Gericht eine Klage brachte. Jeder war selbst dafür verantwortlich, Leute, die ihm etwas schuldeten oder ihm Unrecht angetan hatten, vors Gericht zu bringen. Es galt das Prinzip: Wo kein Kläger, da kein Urteil. Richter durften keinen Prozess von Amts wegen einleiten. Wenn der Geschädigte keine Klage einbringen konnte, z.B. weil der Angeklagte ihn ermordet hatte, so lag es an der Familie, den Freunden oder dem Herrn des Geschädigten, zu klagen.
  
Es gab zwei Formen der Anklage: die schlichte Anklage und die Anklage mit dem Gerüft.
+
Wenn der Angeklagte ein Adliger war, musste die Klage der [[König|Krone]] vorgebracht werden; wenn der Angeklagte ein Bürger oder ein sonstiger nicht-adliger [[Kapitalverbrechen|Schwerverbrecher]] war, so musste die Klage dem [[Vizegraf]]en vorgetragen werden.
  
Anders als zum Beispiel beim [[Islamisches Verfahren|islamischen]] oder beim [[Kirchliches Verfahren|kirchlichen Verfahren]] gab es keine Unschuldsvermutung; sobald der Fall vor Gericht gebracht wurde, wurde für jene Partei entschieden, der das Gericht mehr Glauben schenkte.
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Es konnte bei vielen Verbrechen auch von Anfang an eine [[Gerichtskampf|Kampfklage]] gebracht werden, das heisst, eine Herausforderung zum Gerichtskampf.
  
==Schlichte Anklage==
+
==Gerichtsvorladung==
  
Die normale Anklage war die häufigste Klage, die vorm Bürgergericht und vorm Hohen Gericht eingebracht wurde.
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Sobald die Klage angenommen war, musste der Angeklagte vor Gericht geladen werden. Ein Angeklagter musste, in Intervallen von jeweils 2 Wochen, fünfmal vor Gericht gebeten werden. Seine Absenz konnte in diesen bestimmten Fällen entschuldigt werden:
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* Der Angeklagte befand sich auf Pilgerfahrt
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* Der Angeklagte diente der Krone im Krieg
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* Der Angeklagte litt unter einer schweren Krankheit (das hieß, er konnte nicht seine Hosen ohne Hilfe anziehen)
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* Der Angeklagte befand sich in [[Kriegsgefangenschaft]]
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Diese “Entschuldigungen” konnten gewiften Angeklagten dabei helfen, ein Gerichtsverfahren etliche Jahre hinauszuzögern.
  
===Ablauf der Klage===
+
==Plädoyer==
  
1. Ein Geschädigter ging zum Richter und klagte gegen den Angeklagten.
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Sobald Kläger und Angeklagter vor Gericht standen, musste der Kläger beginnen, dem Richter und den Beisitzern seine Version der Ereignisse zu schildern. Danach schilderte der Angeklagte dem Gericht seine Version der Ereignisse. Der Gerichtsschreiber (im Falle der Haute Cour entweder der [[Kanzler]] oder ein Notar; im Falle des Bürgergerichts der [[Stadtschreiber]]) hält fest, worin sich die Parteien einig sind und worin sie nicht überein stimmen.
  
2. Der Angeklagte wurde vor Gericht berufen. Weigerte er sich nach dreimaliger Ermahnung, zu kommen, so wurde er für [[Vogelfrei|vogelfrei]] erklärt.
+
==Beweisung==
  
3. Der Geschädigte macht eine Aussage, ohne zu stottern oder sich zu versprechen, und schwört auf die [[Bibel]] oder [[Reliquie]]n, dass dies die Wahrheit ist. Wenn er stotterte oder sich versprach, wurde dies als Zeichen gesehen, dass Gott nicht wollte, dass die Anklage erstattet wird.
+
Der Kläger ist nun dazu angehalten, seine Beweise vorzubringen.
  
===Eingeständnis und Reinigungseid===
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Im fränkischen Recht gab es “volle Beweise” und “halbe Beweise”. Volle Beweise bewiesen die Schuld des Angeklagten, und konnten nur durch einen vollen Beweis widerlegt werden.
  
Der Angeklagte konnte nun seine Schuld entweder eingestehen und wurde verurteilt, oder aber er konnte aber nun einen Reinigungseid vollziehen, indem er eine Aussage machte, dass er unschuldig war, ohne zu stottern oder sich zu versprechen, und auf die Bibel oder Reliquien schwörte, dass dies die Wahrheit war.
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Die vollen Beweise waren:
  
Wichtig zu beachten ist, dass alles, was nicht auf Eid verleugnet wurde, als eingestanden galt. Weigerte sich der Angeklagte, einen Reinigungseid zu vollziehen, so galt er als überführt.
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* Geständnis (dies war der stärkste Beweis; gestand einer der Parteien sein Unrecht, war das das automatische Ende jedes Verfahrens)
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* Königliche Urkunden/Edikte (ein königliches Edikt anzuzweifeln oder versuchen, es zu widerlegen, war quasi Hoheitsbeleidigung)
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* Offenkundigkeit (diese Tatsache ist allgemein bekannt, oder zumindest dem Gericht bekannt)
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* Der scheinende Blick - dies war eine spezielle Beweisform, siehe [[Handhaftverfahren]].
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* Beweis durch zwei glaubwürdige, standesgemäße [[Zeuge]]n (die Beisitzer mussten darüber urteilen, ob die Zeugen glaubwürdig waren. Siehe den Artikel über [[Zeuge]]n darüber, wer als Zeuge zugelassen war)
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*Private Urkunden (die Gültigkeit einer private Urkunde konnte von zwei glaubwürdigen Zeugen widerlegt werden)
  
===Vorbringen von Beweisen===
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Neben den Vollbeweisen gab es auch sogenannte “halbe Beweise”, welche zu einer Verurteilung für sich alleine nicht genug waren. Allerdings konnten mehrere halbe Beweise zusammen von den Beisitzern als ein Vollbeweis anerkannt werden.
  
Wenn dem Reinigungseid der Kläger keine Beweise vorbringen konnte, so galt der Angeklagte als unschuldig. Daher musste der Kläger Beweise erbringen, um die Beisitzer des Gerichtes (z.B. [[Schöffe]]n oder [[Baron]]e des Hohen Gerichtes) von seiner Version zu überzeugen, und der Angeklagte konnte mit Gegenbeweisen kontern.
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* Aussage eines einzigen Zeugen
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* Private Aufzeichnungen
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* Allgemeiner Ruf des Angeklagten
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* Starke Indizien (zum Beispiel Todesdrohungen gegen ein Mordopfer kurz vor dessen Mord. Ob ein Indiz stark genug ist, als halber Beweis zu dienen, müssen die Schöffen entscheiden)
  
====Eideshelfer====
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==Verteidigung==
  
Die traditionelle fränkische Art, die Gegenpartei zu überführen, war die Benutzung von [[Eideshelfer]]n. Diese waren Leute, die dem Kläger oder Angeklagten dessen guten Leumund bestätigten. Diese waren bei Weitem die wichtigsten Beweismittel vor einem fränkischen Gericht und daher konnten die Parteien auf Eideshelfer nicht verzichten. Eideshelfer wurden von mittelalterlichen Gerichten insofern als wertvolle Beweismittel gesehen, als dass Fakten - im Gegensatz zum guten Ruf einer Partei - schwer zu ermitteln waren, und nur wenige Leute dazu bereit waren, durch einen falschen Eid ihr Seelenheil, ihr [[Ansehen]] und ihre [[Ehre]] aufs Spiel zu setzen.
+
Der Angeklagte hatte folgende Optionen.
  
Wie das Gericht die Eideshelfer wertete, hing von deren Ruf, Stand und persönlichen Gefühlen zwischen den Beisitzern und den Eideshelfern ab.
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Bei Vollbeweis durch den Kläger:
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* Der Angeklagte konnte die Glaubwürdigkeit der Zeugen in den Augen der Beisitzer unterminieren - würde einer von zwei Zeugen diskreditiert werden, würde ein voller Beweis zu einem halben Beweis herabsinken.
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* Der Angeklagte konnte Vollbeweise mit gleichrangigen oder “höheren” Beweisen kontern. ZB konnte er durch ein königliches Edikt beweisen, dass eine private Urkunde ungültig war.
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* Der Angeklagte konnte ein [[Gottesurteil]] (zum Beispiel, wenn er eines Verbrechens angeklagt war, einen [[Gerichtskampf]]) erbitten. Die Beisitzer mussten dies nicht gewähren, wenn der Angeklagte durch Vollbeweis überführt war, aber dies konnte als letzter Versuch erbeten werden. Die Beisitzer konnten dies zB gewähren, wenn sie nicht hundertprozentig vom Vollbeweis überzeugt waren, oder ein einflussreicher [[Bürge]] vor Gericht einen [[Eid]] brachte, dass er glaubte, dass der Angeklagte unschuldig war.
  
====Zeugen====
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Bei halben Beweis durch den Kläger:
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* Die Schöffen urteilten normalerweise, dass der Angeklagte, wenn der Kläger nur einen halben Beweis erbringen konnte, diesen ebenfalls mit einem halben Beweis widerlegen musste. Wenn der Angeklagte das nicht konnte, konnte das Gericht Folgendes anordnen:
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** Wenn die Klage sich auf mehr als 4 Besant belief, oder dem Angeklagten vorgeworfen wurde, dass er schwere Körperverletzung oder Mord begangen habe, so wurde ein [[Gerichtskampf]] angeordnet.
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** Wenn die Klage sich auf weniger als 4 Besant belief, oder auf ein weniger schweres Verbrechen, so musste der Angeklagte üblicherweise einen [[Eid|Reinigungseid]] schwören, um sich von jeglichem Verdacht zu reinigen. Lehnte der Angeklagte das ab, so konnten die Schöffen ihn zu einem [[Gottesurteil]] (zum Beispiel einer Feuerprobe oder einer Wasserprobe) zwingen.
  
Zeugen konnten zum einen selber als Eideshelfer auftreten, und zum anderen durch ihre Erzählungen der Version eine der Parteien zusätzliches Gewicht verleihen. Zeugen waren unerlässlich, wenn sie einen Handel, ein Testament oder einen sonstigen rechtlichen Akt bezeugt haben - vor Gericht mussten sie, wenn dieser Akt , dass sie dem Akt beigewohnt haben. Bei genügender Anzahl (zumeist waren 2 Zeugen genug) galt die Rechtmäßigkeit jenes Aktes als bewiesen.
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Be keinem gültigen Beweis durch den Kläger:
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* Der Angeklagte musste normalerweise nichts tun, da die Schöffen die Klage zurückweisen würden. Allerdings könnte unter Umständen gleich im Anschluss durch den Kläger eine Kampfklage zum [[Gerichtskampf]] erfolgen.
  
====Indizien====
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==Verurteilung==
  
Indizien und Beweisgegenstände wurden vom Gericht aufgrund nicht weit fortgeschrittener Gerichtsforensik nicht sehr hoch bewertet, konnten aber in Einzelfällen einen Ausschlag zugunsten einer Partei fällen.
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Wenn eine Tat bewiesen worden ist, wurde das Urteil üblicherweise sofort (zumindest noch am selben Tag) vollstreckt. Manchmal aber gab das Gericht dem Angeklagten die Möglichkeit, um eine königliche [[Begnadigung]] zu ersuchen.
 
 
====Königliche Urkunde====
 
 
 
Eine [[Königliche Urkunde]] durfte von keinem Gericht angezweifelt werden und war daher ein extrem nützliches Beweismittel. Ein Angeklagter konnte sich von einer Anklage auch durch eine königliche Urkunde befreien, die die Unschuld des Angeklagten bewies oder bezeugte.
 
 
 
===Abstimmung der Beisitzer===
 
 
 
Nach dem Vorbringen der Beweise konnten die Beisitzer für oder gegen den Angeklagten abstimmen. Die Mehrheit der Stimmen gewann.
 
 
 
===Gottesurteil===
 
 
 
Wenn der Angeklagte die Beisitzer des Gerichtes nicht überzeugen konnte, konnte er um ein Gottesurteil bitten. Auch kann der Richter eines anordnen, wenn auch nach dem Wahrspruch der Beisitzer Zweifel an der Schuld oder Unschuld des Angeklagten bestehen, wenn gleich viele Beisitzer des Gerichtes für und gegen den Angeklagten gestimmt haben, oder wenn die Beisitzer aus dem Fall nicht schlau wurden.
 
 
 
Gottesurteile, die der Richter anordnen konnte, waren:
 
 
 
*die Feuerprobe, bei der der Delinquent ein glühendes Eisen mehrere Schritte weit tragen muss. Entzündet sich nach einigen Tagen die Wunde statt zu heilen, gilt dies als Schuldbeweis.
 
*die Heißwasserprobe oder der Kesselfang, bei der der Angeklagte in einen Kessel voll mit glühendem Wasser fassen muss. Entzünden sich nach einigen Tagen die Brandwunden statt zu heilen, gilt dies als Schuldbeweis.
 
*die Kaltwasserprobe wird der Angeklagte in zuvor gesegnetes Wasser geworfen. Schwimmt er, so stößt das gesegnet Wasser ihn ab und er ist schuldig; sinkt er, so ist er unschuldig.
 
*das Kreuzordal, bei der Kläger und Angeklagter beide Arme vor dem Kreuz ausstrecken müssen - wer zuerst seine Arme sinken lässt, ist im Unrecht.
 
*das Hostienordal, bei dem der Angeklagte eine Hostie isst. Verschluckt er sich, ist er schuldig.
 
 
 
Es war offensichtlich, dass bei diesen verschiedenen Gottesurteilen die Chancen des Angeklagten, sich zu befreien, variierten. Der Richter konnte das Gottesurteil so bestimmen, dass der Angeklagte eine größere bzw. geringere Chance hat, freizukommen.
 
 
 
===Zweikampf===
 
 
 
Der Zweikampf konnte von jeder der beiden Parteien erbeten werden. Auch konnte ihn der Richter aus eigener Initiative anordnen. Der Zweikampf konnte nur ausgeführt werden, wenn das Gericht ihn anordnete. Beim Zweikampf mussten der Kläger und der Angeklagte gegeneinander kämpfen. Der Kampf wurde für gewöhnlich durch erstes Blut entschieden; manchmal aber wurde er auf Leben und Tod angeordnet. Kinder, Greise, Frauen und sonstige durch [[Behinderung]]en oder [[Krankheit]]en Kampfunfähige konnten Lohnkämpfer beauftragen (mussten es aber nicht, es stand ihnen frei, selber zu kämpfen).
 
 
 
==Anklage mit dem Gerüft==
 
 
 
Klage konnte auch abseits des Gerichts mithilfe dem Gerüft erhoben werden. Das Gerüft war ein Hilfeschrei, der unbedingt von Leuten im Umkreis beantwortet werden musste - die Ignorierung eines Gerüfts war strafbar.
 
 
 
Gerüfte konnte man erheben, wenn ein Verbrechen ausgeführt wurde, oder gerade ausgeführt worden war. Das Verfahren bei einer Klage mit dem Gerüft lief folgendermaßen ab:
 
 
 
1. Das Opfer oder ein Zeuge (ie. der Kläger) erhoben das Gerüft.
 
 
 
2. Auf das Gerüft hin kamen Leute im Umkreis (Schreimannen) zu Hilfe und überwältigten den Verbrecher.
 
 
 
3. Der Kläger und die Schreimannen schleppten den Angeklagten vor Gericht.
 
 
 
4. Der Kläger machte eine Aussage gegen den Angeklagten, ohne zu stottern oder sich zu versprechen, und schwörte, dass dies die Wahrheit war.
 
 
 
5. 2 Schreimannen beschwörten ihren Glauben, dass der Geschädigte die Wahrheit gesagt hat.
 
 
 
Der Angeklagte kann keinen Einspruch erheben und keinen Reinigungseid leisten; seine Schuld galt als unumstößlich erwiesen. Er konnte sofort verurteilt werden. Wenn die Schreimannen und der Kläger den Angeklagten bei seiner Überwältigung töteten, wurde das als rechtmäßig angesehen, sofern nach dem Tod des Verbrechers der Kläger und 2 Schreimannen schworen, dass es sich um einen Verbrecher gehandelt hatte.
 
 
 
==Urteilschelte==
 
 
 
Bei einer schlichten Klage konnte die Partei, die verloren hat, an ein höheres Gericht appellieren (ie. vom Bürgergericht ans Hohe Gericht). Dies war nicht möglich bei einer Überführung mit dem Gerüft.
 
  
 
[[Kategorie:Gerichtsverfahren]]
 
[[Kategorie:Gerichtsverfahren]]

Aktuelle Version vom 9. März 2019, 22:06 Uhr

Das fränkische Verfahren wurde am Bürgergericht und an der Haute Cour angewendet. Es verlief nach genau festgelegten Prozeduren, die unten beschrieben werden. Verfahrenstechnisch bestand kein Unterschied zwischen Straf- und Zivilverfahren. Das Verfahren wurde geleitet von einem Richter (zum Beispiel dem Vizegrafen oder dem König, aber die Entscheidungen wurden gefällt von den Beisitzern - im Bürgergericht die Schöffen, in der Haute Cour die Barone.

Klage

EIn Gerichtsverfahren konnte nur eingeleitet werden, wenn jemand vorm zuständigen Gericht eine Klage brachte. Jeder war selbst dafür verantwortlich, Leute, die ihm etwas schuldeten oder ihm Unrecht angetan hatten, vors Gericht zu bringen. Es galt das Prinzip: Wo kein Kläger, da kein Urteil. Richter durften keinen Prozess von Amts wegen einleiten. Wenn der Geschädigte keine Klage einbringen konnte, z.B. weil der Angeklagte ihn ermordet hatte, so lag es an der Familie, den Freunden oder dem Herrn des Geschädigten, zu klagen.

Wenn der Angeklagte ein Adliger war, musste die Klage der Krone vorgebracht werden; wenn der Angeklagte ein Bürger oder ein sonstiger nicht-adliger Schwerverbrecher war, so musste die Klage dem Vizegrafen vorgetragen werden.

Es konnte bei vielen Verbrechen auch von Anfang an eine Kampfklage gebracht werden, das heisst, eine Herausforderung zum Gerichtskampf.

Gerichtsvorladung

Sobald die Klage angenommen war, musste der Angeklagte vor Gericht geladen werden. Ein Angeklagter musste, in Intervallen von jeweils 2 Wochen, fünfmal vor Gericht gebeten werden. Seine Absenz konnte in diesen bestimmten Fällen entschuldigt werden:

  • Der Angeklagte befand sich auf Pilgerfahrt
  • Der Angeklagte diente der Krone im Krieg
  • Der Angeklagte litt unter einer schweren Krankheit (das hieß, er konnte nicht seine Hosen ohne Hilfe anziehen)
  • Der Angeklagte befand sich in Kriegsgefangenschaft

Diese “Entschuldigungen” konnten gewiften Angeklagten dabei helfen, ein Gerichtsverfahren etliche Jahre hinauszuzögern.

Plädoyer

Sobald Kläger und Angeklagter vor Gericht standen, musste der Kläger beginnen, dem Richter und den Beisitzern seine Version der Ereignisse zu schildern. Danach schilderte der Angeklagte dem Gericht seine Version der Ereignisse. Der Gerichtsschreiber (im Falle der Haute Cour entweder der Kanzler oder ein Notar; im Falle des Bürgergerichts der Stadtschreiber) hält fest, worin sich die Parteien einig sind und worin sie nicht überein stimmen.

Beweisung

Der Kläger ist nun dazu angehalten, seine Beweise vorzubringen.

Im fränkischen Recht gab es “volle Beweise” und “halbe Beweise”. Volle Beweise bewiesen die Schuld des Angeklagten, und konnten nur durch einen vollen Beweis widerlegt werden.

Die vollen Beweise waren:

  • Geständnis (dies war der stärkste Beweis; gestand einer der Parteien sein Unrecht, war das das automatische Ende jedes Verfahrens)
  • Königliche Urkunden/Edikte (ein königliches Edikt anzuzweifeln oder versuchen, es zu widerlegen, war quasi Hoheitsbeleidigung)
  • Offenkundigkeit (diese Tatsache ist allgemein bekannt, oder zumindest dem Gericht bekannt)
  • Der scheinende Blick - dies war eine spezielle Beweisform, siehe Handhaftverfahren.
  • Beweis durch zwei glaubwürdige, standesgemäße Zeugen (die Beisitzer mussten darüber urteilen, ob die Zeugen glaubwürdig waren. Siehe den Artikel über Zeugen darüber, wer als Zeuge zugelassen war)
  • Private Urkunden (die Gültigkeit einer private Urkunde konnte von zwei glaubwürdigen Zeugen widerlegt werden)

Neben den Vollbeweisen gab es auch sogenannte “halbe Beweise”, welche zu einer Verurteilung für sich alleine nicht genug waren. Allerdings konnten mehrere halbe Beweise zusammen von den Beisitzern als ein Vollbeweis anerkannt werden.

  • Aussage eines einzigen Zeugen
  • Private Aufzeichnungen
  • Allgemeiner Ruf des Angeklagten
  • Starke Indizien (zum Beispiel Todesdrohungen gegen ein Mordopfer kurz vor dessen Mord. Ob ein Indiz stark genug ist, als halber Beweis zu dienen, müssen die Schöffen entscheiden)

Verteidigung

Der Angeklagte hatte folgende Optionen.

Bei Vollbeweis durch den Kläger:

  • Der Angeklagte konnte die Glaubwürdigkeit der Zeugen in den Augen der Beisitzer unterminieren - würde einer von zwei Zeugen diskreditiert werden, würde ein voller Beweis zu einem halben Beweis herabsinken.
  • Der Angeklagte konnte Vollbeweise mit gleichrangigen oder “höheren” Beweisen kontern. ZB konnte er durch ein königliches Edikt beweisen, dass eine private Urkunde ungültig war.
  • Der Angeklagte konnte ein Gottesurteil (zum Beispiel, wenn er eines Verbrechens angeklagt war, einen Gerichtskampf) erbitten. Die Beisitzer mussten dies nicht gewähren, wenn der Angeklagte durch Vollbeweis überführt war, aber dies konnte als letzter Versuch erbeten werden. Die Beisitzer konnten dies zB gewähren, wenn sie nicht hundertprozentig vom Vollbeweis überzeugt waren, oder ein einflussreicher Bürge vor Gericht einen Eid brachte, dass er glaubte, dass der Angeklagte unschuldig war.

Bei halben Beweis durch den Kläger:

  • Die Schöffen urteilten normalerweise, dass der Angeklagte, wenn der Kläger nur einen halben Beweis erbringen konnte, diesen ebenfalls mit einem halben Beweis widerlegen musste. Wenn der Angeklagte das nicht konnte, konnte das Gericht Folgendes anordnen:
    • Wenn die Klage sich auf mehr als 4 Besant belief, oder dem Angeklagten vorgeworfen wurde, dass er schwere Körperverletzung oder Mord begangen habe, so wurde ein Gerichtskampf angeordnet.
    • Wenn die Klage sich auf weniger als 4 Besant belief, oder auf ein weniger schweres Verbrechen, so musste der Angeklagte üblicherweise einen Reinigungseid schwören, um sich von jeglichem Verdacht zu reinigen. Lehnte der Angeklagte das ab, so konnten die Schöffen ihn zu einem Gottesurteil (zum Beispiel einer Feuerprobe oder einer Wasserprobe) zwingen.

Be keinem gültigen Beweis durch den Kläger:

  • Der Angeklagte musste normalerweise nichts tun, da die Schöffen die Klage zurückweisen würden. Allerdings könnte unter Umständen gleich im Anschluss durch den Kläger eine Kampfklage zum Gerichtskampf erfolgen.

Verurteilung

Wenn eine Tat bewiesen worden ist, wurde das Urteil üblicherweise sofort (zumindest noch am selben Tag) vollstreckt. Manchmal aber gab das Gericht dem Angeklagten die Möglichkeit, um eine königliche Begnadigung zu ersuchen.