Fränkisches Verfahren

Aus Scriptorium

Das fränkische Verfahren wurde am Bürgergericht und an der Haute Cour angewendet. Es verlief nach genau festgelegten Prozeduren, die unten beschrieben werden. Verfahrenstechnisch bestand kein Unterschied zwischen Straf- und Zivilverfahren. Das Verfahren wurde geleitet von einem Richter (zum Beispiel dem Vizegrafen oder dem König, aber die Entscheidungen wurden gefällt von den Beisitzern - im Bürgergericht die Schöffen, in der Haute Cour die Barone.

Klage

EIn Gerichtsverfahren konnte nur eingeleitet werden, wenn jemand vorm zuständigen Gericht eine Klage brachte. Jeder war selbst dafür verantwortlich, Leute, die ihm etwas schuldeten oder ihm Unrecht angetan hatten, vors Gericht zu bringen. Es galt das Prinzip: Wo kein Kläger, da kein Urteil. Richter durften keinen Prozess von Amts wegen einleiten. Wenn der Geschädigte keine Klage einbringen konnte, z.B. weil der Angeklagte ihn ermordet hatte, so lag es an der Familie, den Freunden oder dem Herrn des Geschädigten, zu klagen.

Wenn der Angeklagte ein Adliger war, musste die Klage der Krone vorgebracht werden; wenn der Angeklagte ein Bürger oder ein sonstiger nicht-adliger Schwerverbrecher war, so musste die Klage dem Vizegrafen vorgetragen werden.

Es konnte bei vielen Verbrechen auch von Anfang an eine Kampfklage gebracht werden, das heisst, eine Herausforderung zum Gerichtskampf.

Gerichtsvorladung

Sobald die Klage angenommen war, musste der Angeklagte vor Gericht geladen werden. Ein Angeklagter musste, in Intervallen von jeweils 2 Wochen, fünfmal vor Gericht gebeten werden. Seine Absenz konnte in diesen bestimmten Fällen entschuldigt werden:

  • Der Angeklagte befand sich auf Pilgerfahrt
  • Der Angeklagte diente der Krone im Krieg
  • Der Angeklagte litt unter einer schweren Krankheit (das hieß, er konnte nicht seine Hosen ohne Hilfe anziehen)
  • Der Angeklagte befand sich in Kriegsgefangenschaft

Diese “Entschuldigungen” konnten gewiften Angeklagten dabei helfen, ein Gerichtsverfahren etliche Jahre hinauszuzögern.

Plädoyer

Sobald Kläger und Angeklagter vor Gericht standen, musste der Kläger beginnen, dem Richter und den Beisitzern seine Version der Ereignisse zu schildern. Danach schilderte der Angeklagte dem Gericht seine Version der Ereignisse. Der Gerichtsschreiber (im Falle der Haute Cour entweder der Kanzler oder ein Notar; im Falle des Bürgergerichts der Stadtschreiber) hält fest, worin sich die Parteien einig sind und worin sie nicht überein stimmen.

Beweisung

Der Kläger ist nun dazu angehalten, seine Beweise vorzubringen.

Im fränkischen Recht gab es “volle Beweise” und “halbe Beweise”. Volle Beweise bewiesen die Schuld des Angeklagten, und konnten nur durch einen vollen Beweis widerlegt werden.

Die vollen Beweise waren:

  • Geständnis (dies war der stärkste Beweis; gestand einer der Parteien sein Unrecht, war das das automatische Ende jedes Verfahrens)
  • Königliche Urkunden/Edikte (ein königliches Edikt anzuzweifeln oder versuchen, es zu widerlegen, war quasi Hoheitsbeleidigung)
  • Offenkundigkeit (diese Tatsache ist allgemein bekannt, oder zumindest dem Gericht bekannt)
  • Der scheinende Blick - dies war eine spezielle Beweisform, siehe Handhaftverfahren.
  • Beweis durch zwei glaubwürdige, standesgemäße Zeugen (die Beisitzer mussten darüber urteilen, ob die Zeugen glaubwürdig waren. Siehe den Artikel über Zeugen darüber, wer als Zeuge zugelassen war)
  • Private Urkunden (die Gültigkeit einer private Urkunde konnte von zwei glaubwürdigen Zeugen widerlegt werden)

Neben den Vollbeweisen gab es auch sogenannte “halbe Beweise”, welche zu einer Verurteilung für sich alleine nicht genug waren. Allerdings konnten mehrere halbe Beweise zusammen von den Beisitzern als ein Vollbeweis anerkannt werden.

  • Aussage eines einzigen Zeugen
  • Private Aufzeichnungen
  • Allgemeiner Ruf des Angeklagten
  • Starke Indizien (zum Beispiel Todesdrohungen gegen ein Mordopfer kurz vor dessen Mord. Ob ein Indiz stark genug ist, als halber Beweis zu dienen, müssen die Schöffen entscheiden)

Verteidigung

Der Angeklagte hatte folgende Optionen.

Bei Vollbeweis durch den Kläger:

  • Der Angeklagte konnte die Glaubwürdigkeit der Zeugen in den Augen der Beisitzer unterminieren - würde einer von zwei Zeugen diskreditiert werden, würde ein voller Beweis zu einem halben Beweis herabsinken.
  • Der Angeklagte konnte Vollbeweise mit gleichrangigen oder “höheren” Beweisen kontern. ZB konnte er durch ein königliches Edikt beweisen, dass eine private Urkunde ungültig war.
  • Der Angeklagte konnte ein Gottesurteil (zum Beispiel, wenn er eines Verbrechens angeklagt war, einen Gerichtskampf) erbitten. Die Beisitzer mussten dies nicht gewähren, wenn der Angeklagte durch Vollbeweis überführt war, aber dies konnte als letzter Versuch erbeten werden. Die Beisitzer konnten dies zB gewähren, wenn sie nicht hundertprozentig vom Vollbeweis überzeugt waren, oder ein einflussreicher Bürge vor Gericht einen Eid brachte, dass er glaubte, dass der Angeklagte unschuldig war.

Bei halben Beweis durch den Kläger:

  • Die Schöffen urteilten normalerweise, dass der Angeklagte, wenn der Kläger nur einen halben Beweis erbringen konnte, diesen ebenfalls mit einem halben Beweis widerlegen musste. Wenn der Angeklagte das nicht konnte, konnte das Gericht Folgendes anordnen:
    • Wenn die Klage sich auf mehr als 4 Besant belief, oder dem Angeklagten vorgeworfen wurde, dass er schwere Körperverletzung oder Mord begangen habe, so wurde ein Gerichtskampf angeordnet.
    • Wenn die Klage sich auf weniger als 4 Besant belief, oder auf ein weniger schweres Verbrechen, so musste der Angeklagte üblicherweise einen Reinigungseid schwören, um sich von jeglichem Verdacht zu reinigen. Lehnte der Angeklagte das ab, so konnten die Schöffen ihn zu einem Gottesurteil (zum Beispiel einer Feuerprobe oder einer Wasserprobe) zwingen.

Be keinem gültigen Beweis durch den Kläger:

  • Der Angeklagte musste normalerweise nichts tun, da die Schöffen die Klage zurückweisen würden. Allerdings könnte unter Umständen gleich im Anschluss durch den Kläger eine Kampfklage zum Gerichtskampf erfolgen.

Verurteilung

Wenn eine Tat bewiesen worden ist, wurde das Urteil üblicherweise sofort (zumindest noch am selben Tag) vollstreckt. Manchmal aber gab das Gericht dem Angeklagten die Möglichkeit, um eine königliche Begnadigung zu ersuchen.