Fränkisches Verfahren: Unterschied zwischen den Versionen

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Bei einer schlichten Klage konnte die Partei, die verloren hat, an ein höheres Gericht appellieren (ie. vom Bürgergericht ans Hohe Gericht). Dies war nicht möglich bei einer Überführung mit dem Gerüft.
 
Bei einer schlichten Klage konnte die Partei, die verloren hat, an ein höheres Gericht appellieren (ie. vom Bürgergericht ans Hohe Gericht). Dies war nicht möglich bei einer Überführung mit dem Gerüft.
  
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Version vom 8. Februar 2019, 00:23 Uhr

Das fränkische Verfahren vor Gericht war das Verfahren, nach dem die Lateiner des Königreichs Jerusalem das Recht sprachen. Es wurde angewendet vor dem Bürgergericht und dem Hohen Gericht, wenn jenes zu Gericht saß.

Grundlegende Prinzipien

Das fränkische Verfahren kannte verfahrenstechnisch keinen Unterschied zwischen Straf- und Zivilverfahren. Jeder war selbst dafür verantwortlich, Leute, die ihm etwas schuldeten oder ihm Unrecht angetan hatten, vors Gericht zu bringen. Es galt das Prinzip: Wo kein Kläger, da kein Urteil. Richter durften keinen Prozess von Amts wegen einleiten. Wenn der Geschädigte keine Klage einbringen konnte, z.B. weil der Angeklagte ihn ermordet hatte, so lag es an der Familie, den Freunden oder dem Herrn des Geschädigten, zu klagen.

Es gab zwei Formen der Anklage: die schlichte Anklage und die Anklage mit dem Gerüft.

Anders als zum Beispiel beim islamischen oder beim kirchlichen Verfahren gab es keine Unschuldsvermutung; sobald der Fall vor Gericht gebracht wurde, wurde für jene Partei entschieden, der das Gericht mehr Glauben schenkte.

Schlichte Anklage

Die normale Anklage war die häufigste Klage, die vorm Bürgergericht und vorm Hohen Gericht eingebracht wurde.

Ablauf der Klage

1. Ein Geschädigter ging zum Richter und klagte gegen den Angeklagten.

2. Der Angeklagte wurde vor Gericht berufen. Weigerte er sich nach dreimaliger Ermahnung, zu kommen, so wurde er für vogelfrei erklärt.

3. Der Geschädigte macht eine Aussage, ohne zu stottern oder sich zu versprechen, und schwört auf die Bibel oder Reliquien, dass dies die Wahrheit ist. Wenn er stotterte oder sich versprach, wurde dies als Zeichen gesehen, dass Gott nicht wollte, dass die Anklage erstattet wird.

Eingeständnis und Reinigungseid

Der Angeklagte konnte nun seine Schuld entweder eingestehen und wurde verurteilt, oder aber er konnte aber nun einen Reinigungseid vollziehen, indem er eine Aussage machte, dass er unschuldig war, ohne zu stottern oder sich zu versprechen, und auf die Bibel oder Reliquien schwörte, dass dies die Wahrheit war.

Wichtig zu beachten ist, dass alles, was nicht auf Eid verleugnet wurde, als eingestanden galt. Weigerte sich der Angeklagte, einen Reinigungseid zu vollziehen, so galt er als überführt.

Vorbringen von Beweisen

Wenn dem Reinigungseid der Kläger keine Beweise vorbringen konnte, so galt der Angeklagte als unschuldig. Daher musste der Kläger Beweise erbringen, um die Beisitzer des Gerichtes (z.B. Schöffen oder Barone des Hohen Gerichtes) von seiner Version zu überzeugen, und der Angeklagte konnte mit Gegenbeweisen kontern.

Eideshelfer

Die traditionelle fränkische Art, die Gegenpartei zu überführen, war die Benutzung von Eideshelfern. Diese waren Leute, die dem Kläger oder Angeklagten dessen guten Leumund bestätigten. Diese waren bei Weitem die wichtigsten Beweismittel vor einem fränkischen Gericht und daher konnten die Parteien auf Eideshelfer nicht verzichten. Eideshelfer wurden von mittelalterlichen Gerichten insofern als wertvolle Beweismittel gesehen, als dass Fakten - im Gegensatz zum guten Ruf einer Partei - schwer zu ermitteln waren, und nur wenige Leute dazu bereit waren, durch einen falschen Eid ihr Seelenheil, ihr Ansehen und ihre Ehre aufs Spiel zu setzen.

Wie das Gericht die Eideshelfer wertete, hing von deren Ruf, Stand und persönlichen Gefühlen zwischen den Beisitzern und den Eideshelfern ab.

Zeugen

Zeugen konnten zum einen selber als Eideshelfer auftreten, und zum anderen durch ihre Erzählungen der Version eine der Parteien zusätzliches Gewicht verleihen. Zeugen waren unerlässlich, wenn sie einen Handel, ein Testament oder einen sonstigen rechtlichen Akt bezeugt haben - vor Gericht mussten sie, wenn dieser Akt , dass sie dem Akt beigewohnt haben. Bei genügender Anzahl (zumeist waren 2 Zeugen genug) galt die Rechtmäßigkeit jenes Aktes als bewiesen.

Indizien

Indizien und Beweisgegenstände wurden vom Gericht aufgrund nicht weit fortgeschrittener Gerichtsforensik nicht sehr hoch bewertet, konnten aber in Einzelfällen einen Ausschlag zugunsten einer Partei fällen.

Königliche Urkunde

Eine Königliche Urkunde durfte von keinem Gericht angezweifelt werden und war daher ein extrem nützliches Beweismittel. Ein Angeklagter konnte sich von einer Anklage auch durch eine königliche Urkunde befreien, die die Unschuld des Angeklagten bewies oder bezeugte.

Abstimmung der Beisitzer

Nach dem Vorbringen der Beweise konnten die Beisitzer für oder gegen den Angeklagten abstimmen. Die Mehrheit der Stimmen gewann.

Gottesurteil

Wenn der Angeklagte die Beisitzer des Gerichtes nicht überzeugen konnte, konnte er um ein Gottesurteil bitten. Auch kann der Richter eines anordnen, wenn auch nach dem Wahrspruch der Beisitzer Zweifel an der Schuld oder Unschuld des Angeklagten bestehen, wenn gleich viele Beisitzer des Gerichtes für und gegen den Angeklagten gestimmt haben, oder wenn die Beisitzer aus dem Fall nicht schlau wurden.

Gottesurteile, die der Richter anordnen konnte, waren:

  • die Feuerprobe, bei der der Delinquent ein glühendes Eisen mehrere Schritte weit tragen muss. Entzündet sich nach einigen Tagen die Wunde statt zu heilen, gilt dies als Schuldbeweis.
  • die Heißwasserprobe oder der Kesselfang, bei der der Angeklagte in einen Kessel voll mit glühendem Wasser fassen muss. Entzünden sich nach einigen Tagen die Brandwunden statt zu heilen, gilt dies als Schuldbeweis.
  • die Kaltwasserprobe wird der Angeklagte in zuvor gesegnetes Wasser geworfen. Schwimmt er, so stößt das gesegnet Wasser ihn ab und er ist schuldig; sinkt er, so ist er unschuldig.
  • das Kreuzordal, bei der Kläger und Angeklagter beide Arme vor dem Kreuz ausstrecken müssen - wer zuerst seine Arme sinken lässt, ist im Unrecht.
  • das Hostienordal, bei dem der Angeklagte eine Hostie isst. Verschluckt er sich, ist er schuldig.

Es war offensichtlich, dass bei diesen verschiedenen Gottesurteilen die Chancen des Angeklagten, sich zu befreien, variierten. Der Richter konnte das Gottesurteil so bestimmen, dass der Angeklagte eine größere bzw. geringere Chance hat, freizukommen.

Zweikampf

Der Zweikampf konnte von jeder der beiden Parteien erbeten werden. Auch konnte ihn der Richter aus eigener Initiative anordnen. Der Zweikampf konnte nur ausgeführt werden, wenn das Gericht ihn anordnete. Beim Zweikampf mussten der Kläger und der Angeklagte gegeneinander kämpfen. Der Kampf wurde für gewöhnlich durch erstes Blut entschieden; manchmal aber wurde er auf Leben und Tod angeordnet. Kinder, Greise, Frauen und sonstige durch Behinderungen oder Krankheiten Kampfunfähige konnten Lohnkämpfer beauftragen (mussten es aber nicht, es stand ihnen frei, selber zu kämpfen).

Anklage mit dem Gerüft

Klage konnte auch abseits des Gerichts mithilfe dem Gerüft erhoben werden. Das Gerüft war ein Hilfeschrei, der unbedingt von Leuten im Umkreis beantwortet werden musste - die Ignorierung eines Gerüfts war strafbar.

Gerüfte konnte man erheben, wenn ein Verbrechen ausgeführt wurde, oder gerade ausgeführt worden war. Das Verfahren bei einer Klage mit dem Gerüft lief folgendermaßen ab:

1. Das Opfer oder ein Zeuge (ie. der Kläger) erhoben das Gerüft.

2. Auf das Gerüft hin kamen Leute im Umkreis (Schreimannen) zu Hilfe und überwältigten den Verbrecher.

3. Der Kläger und die Schreimannen schleppten den Angeklagten vor Gericht.

4. Der Kläger machte eine Aussage gegen den Angeklagten, ohne zu stottern oder sich zu versprechen, und schwörte, dass dies die Wahrheit war.

5. 2 Schreimannen beschwörten ihren Glauben, dass der Geschädigte die Wahrheit gesagt hat.

Der Angeklagte kann keinen Einspruch erheben und keinen Reinigungseid leisten; seine Schuld galt als unumstößlich erwiesen. Er konnte sofort verurteilt werden. Wenn die Schreimannen und der Kläger den Angeklagten bei seiner Überwältigung töteten, wurde das als rechtmäßig angesehen, sofern nach dem Tod des Verbrechers der Kläger und 2 Schreimannen schworen, dass es sich um einen Verbrecher gehandelt hatte.

Urteilschelte

Bei einer schlichten Klage konnte die Partei, die verloren hat, an ein höheres Gericht appellieren (ie. vom Bürgergericht ans Hohe Gericht). Dies war nicht möglich bei einer Überführung mit dem Gerüft.