Gottesurteil

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Bei dem Gottesurteil (lat. iudicium Dei, ordalium) handelt es sich um ein Mittel der sakralen Rechtsfindung. In der Forschung wird es auch als eine Form des ritualisierten Wunders bezeichnet. Dem zu Grunde liegt die Vorstellung von Gott als allwissendem Hüter des Rechts, der durch sein persönliches Eingreifen die Probe zu Gunsten des Gerechten entscheidet. Als Mittel der Beweisfindung blieb es jedoch stets die ultima ratio, wenn Eidesleistung und Schwurhelfer nicht ausreichten, um Schuld oder Unschuld des Angeklagten zweifelsfrei festzustellen.

Kurze Geschichte des Gottesurteils

Das römische Recht kannte kein Gottesurteil. Dagegen war es im germanischen Rechtsverständnis eine fest etablierte Größe. Mit der Herausbildung germanischer Nachfolgereiche auf dem Territorium des ehemaligen Imperium Romanum, kam auch die Kirche in Kontakt mit dem Gottesurteil. Da auch die Kirche auf das Eingreifen Gottes in Rechtstreitigkeiten vertraute, nahm sie dieses mit Verweis auf alttestamentarische Ordale in ihren Rechtskanon auf. Die Kirche war nun bemüht, die vielfältigen Formen des Ordals zu ordnen und den Akt als solchen zu ritualisieren. Ebenso fand seine Praxis Einzug in mittelalterliche Volksrechte, wie in die Lex Salica, den Sachsen- oder den Schwabenspiegel, wodurch sich die juristische Instanz des Gottesurteils verfestigte.

Arten des Gottesurteils

Es waren verschiedene Arten des Ordals geläufig, die sich grundsätzlich in bilaterale und unilaterale Gottesurteile einteilen lassen. Bei den bilateralen Formen setzten sich beide Gerichtsparteien einer Probe aus, während sich bei den unilateralen allein die beschuldigte Partei einer solchen stellen musste. Feuerprobe, Heißwasserprobe und Kaltwasserprobe lassen sich zudem zu den sogenannten Elementarordalen zusammen fassen, da in diesen Fällen die Elemente Feuer und Wasser Schuld oder Unschuld des Angeklagten offen legten.

Bilaterale Gottesurteile

  • Die Psalterprobe. Bei dieser Probe wurde ein Psalter als Pendel verwendet, während beide Parteien ihre Aussage machten. Je nach Ausschlagerichtung des Pendels galt die eine Aussage als wahr, die andere als falsch.
  • Das Kreuzordal. Bei dieser Art der Probe mussten Kläger und Angeklagter beide Arme vor dem Kreuz ausstrecken. Wer zuerst seine Arme zuerst sinken ließ, war im Unrecht.
  • Der gerichtliche Zweikampf. Beim gerichtlichen Zweikampf mussten die beiden Kontrahenten gegeneinander antreten, um ihre Unschuld zu beweisen. In bestimmten Fällen durften sie sich auch durch Lohnkämpfer ersetzen lassen. Ausgefochten wurde der Kampf bis zum ersten Blutstropfen oder aber bis zum Tod einer Partei. Der Zweikampf galt vor allen in Adelskreisen als probates Mittel der Wahrheitsfindung.

Unilaterale Gottesurteile

  • Das Hostienordal. Bei diesem musste der Angeklagte eine geweihte Hostie essen. Wenn er sich dabei verschlickte, galt er als schuldig.
  • Die Feuerprobe. Bei dieser musste der Delinquent ein glühendes Eisen mehrere Schritte weit tragen. Bei einer anderen Variante musste der Angeklagte barfüßig über glühende Pflugscharen laufen. Entzündete sich die Wunde nach einigen Tagen anstatt zu heilen und eiterte stark, galt dies als Schuldbeweis.
  • Die Heißwasserprobe oder der Kesselfang. Bei dieser Art der Probe musste der Angeklagte in einen Kessel voll mit glühendem Wasser greifen, um einen Gegenstand hervor zu holen. Entzündeten sich nach einigen Tagen die Brandwunden statt zu heilen, so galt er als schuldig.
  • Die Kaltwasserprobe. Bei der Kaltwasserprobe wurde der Angeklagte in zuvor gesegnetes Wasser geworfen. Schwamm er, so galt dies als Zeichen, dass ihn das gesegnete Wasser abstieß und er wurde für schuldig befunden. Sank er dagegen, so war er unschuldig.

Ablauf eines Gottesurteils

Ein Gottesurteil war ein streng ritualisierter Akt und folgte in seinem Ablauf festen Regeln. Die einzelnen Schritte eines solchen lassen sich wie folgt zusammen fassen:

1. Lesen der Messe

2. Feierliche Prozession zum Ort des Ordals

3. Praktische Vorbereitungen zum Gottesurteil

4. Segnung des Gerichtes

5. Bekenntnis der menschlichen Schuld

6. Eid des Probanden

7. Vollzug des Ordals

Im Gegensatz zu den restlichen Ordalen verzichtete der gerichtliche Zweikampf fast vollständig auf eine ausgefeilte Zeremonie, um den Kampf als sakralen Akt zu kennzeichnen. Nur vereinzelnd sind Rituale wie eine Messe oder die Segnung der Waffen und Kämpfer belegt. Wichtig war allein die vorher erfolgte Anrufung Gottes, er möge dem Gerechten zum Sieg verhelfen.

Dennoch folgte auch der Zweikampf festgeschriebenen Regeln. Zunächst erfolgte die Herausforderung durch eine der beiden Streitparteien, die das Wort der anderen in Frage stellte. In der Vorbereitungsphase des Kampfes blieb Raum für Verhandlungen, um beiden Parteien eine letzte Möglichkeit zu geben, zu einer friedlichen Einigung in Form eines Vergleichs zu kommen. Der Zweikampf selbst erfolgte schließlich auf einer vorher abgesteckten Kampfbahn, die den Sonderstatus der handelnden Akteure betonte und sie von ihrer Umgebung abhob.

Es ist nur eine Form des Gottesurteils bekannt, das gänzlich ohne Zeremoniell auskam und spontan erfolgte. Sollte ein Delinquent gehängt werden und riss dabei der Galgenstrick, so war er durch den Willen Gottes begnadigt.

Kritik am Gottesurteil

Wenngleich das Gottesurteil über weite Strecken des Mittelalters im allgemeinen akzeptiert und anerkannt wurde, blieb es nicht unumstritten. Erzbischof Agobard von Lyon (ca. 769-840) war der erste, der es anprangerte. Der Kirchenreformer führte einen leidenschaftlichen Kampf gegen Aberglaube und Gottesurteil. Letzteres verurteilte er aufs Schärfste, da es dem Menschen nicht zustehe, den Herrn zu versuchen, indem er ein Wunder einfordere. Dieser Argumentation schlossen sich weitere Geistesgrößen wie Hrabanus Maurus (ca. 780-856) und Petrus Cantor (um 1190) an, die anführten, der göttliche Wille sei dem Menschen unergründlich. Auch im Kirchenrecht wurde die Praxis des Ordals kritisch reflektiert. Im um 1140 entstandenen Decretum Gratianum des Bologneser Rechtsgelehrten Gratian finden sich sowohl Argumente für wie auch gegen das Gottesurteil.

Verbot des Gottesurteils

Die zunehmende Kritik führte schließlich zu seinem Verbot von kirchlicher Seite. Das von Papst Innozenz III. einberufene 4. Laterankonzil (1215) untersagte jede Form des Gottesurteils, wobei es auf das biblische Gebot: Non tentabis Dominum tuum verwies, auf welches sich schon Agobard von Lyon berufen hatte. 16 Jahre später erfolgte ein ähnliches Verbot von weltlicher Seite. In dem Bemühen, das sizilianische Recht zu kodifizieren und seine gerichtliche Oberhoheit gegenüber dem Gewohnheitsrecht und kirchlichen Gerichten durchzusetzen, ließ Kaiser Friedrich II. die Konstitutionen von Melfi erstellen. Diese beinhalteten ein generelles Verbot des Ordals zur Rechtsfindung.

Aller Verbote von kirchlicher und weltlicher Seite zum Trotz, sollte es nicht gelingen, die Praxis des Gottesurteils gänzlich zurückzudrängen. Selbst hohe kirchliche Würdenträger widersetzten sich dem Gebot des Papstes und bestanden weiterhin auf dem Ordal als Mittel zur Rechtsfindung. In Form der frühneuzeitlichen Hexenproben erlebte es seine Renaissance, während der richterliche Zweikampf in umgewandelter Form des Duells bis weit in die Moderne Bestand hatte.