Lehen

Aus Scriptorium

Lehen waren eine für das Mittelalter sehr typische Eigentumsform. Es handelte sich dabei um das Gut, welches der Nehmer eines Lehens, der Lehensmann, nutzen durfte. Dies war durch die Erlaubnis des Grundeigentümers, des Lehensherren, möglich. Zugleich beinhaltete die Vergabe eines Lehens von Lehensherrn zu Lehensmann den Beschluss eines Verhältnisses von Treue zueinander. Das Lehensgut war vererbbar und konnte, wenn der Lehensmann keine Erben hatte, zurückfallen an den Lehensherrn. Weil das Lehensverhältnis ein persönliches war, musste das Lehen beim Wechsel von Lehensmann und auch vom Lehensherr (zum Beispiel wegen Tod und Vererbung) neu vergeben werden.

Lehensgut war kein eigentliches Eigentum (siehe Allodium, welches freies Eigentum war), sondern nur, wie der Name sagt, „geliehenes“ Gut. Der Rechtsanspruch des Lehensmannes bestand nur aus der Erlaubnis, es ganz alleine zu nutzen. Die Rechte des Lehensmannes waren aber so weitreichend, dass der Unterschied in der Realität nicht sonderlich groß war.

Das Lehensrecht war eine separate Rechtskategorie, welche mit anderen Jurisdiktionen innerhalb des Königreiches durchaus in Konflikt stehen konnte. Es gab eigene Lehensgerichte für die Lehensgesetze, die von Land zu Land unterschiedlich waren. Sie entschieden nach ungeschriebenen Gesetzen, die im Königreich Jerusalem vor allem auf den Gewohnheiten von Frankreich beruhten.

Geschichte des Lehensrechtes

Das Lehnswesen entstand zur Zeit der Karolinger als eine Art der Bezahlung von altgedienten Soldaten. Ursprünglich gab es jene Belehnung nur als Belehnung auf Lebenszeit—solch ein Lehen nennt man Schupflehen. Allerdings dominierten ab dem 10. Jahrhundert vererbbare Lehen. In den Kreuzfahrerstaaten waren Lehen generell vererbbar.

Rechte und Pflichten im Lehensverhältnis

Das Lehenssystem ergab Rechte und Pflichten für beide Seiten, von welchen beide Seiten Vorteile zogen.

Die Rechte des Lehensherren im Lehenssystem

  • Unbedingte Treue des Lehensmannes
  • Delegation der Landverwaltung an Lehensmänner
  • Erweisung von Kriegsdienst durch den Lehensmann
  • Forderung der Anwesenheit des Lehensmannes bei seinem Hof und Einsatz des Lehensmannes als Berater und Richter
  • Abordnung von Lehensmännern für sein Gefolge
  • Unterkunft seiner Person oder seiner Diener bei Lehensmännern
  • Tribute von Lehensmännern
  • Mitspracherecht in der Familienpolitik seiner Lehensmänner
  • Einzug des Lehens beim Aussterben des belehnten Geschlechtes im Mannesstamm
  • Einzug des Lehens bei Untreue des Lehensmannes

Pflichten des Lehensherren

  • Belehnung von Erben der Lehensmänner
  • Zu Beginn der Amtszeit als Lehensherr Neubelehnung der Lehensmänner
  • Treue gegenüber den Lehensmännern
  • Militärischer Schutz der Lehensmänner

Rechte der Lehensmänner

  • Wirtschaftliche Nutzung und Besitzrecht des Lehens
  • Militärischer Schutz durch den Lehensherrn
  • Treue des Lehensherrn
  • Weitervererbung des Lehens
  • Die Möglichkeit, am Hohen Gericht klagen zu können
  • Garantierte Weiterbelehnung im Falle eines neuen Herrn

Pflichten der Lehensmänner

  • Unbedingte Treue gegenüber dem Lehensherrn
  • Militärischer Dienst für den Lehensherrn
  • Kost und Logis für den Lehensherren oder für dessen Diener, sofern gefordert
  • Bereitschaft zur Anwesenheit am Hof und im Gefolge des Lehensherrn und zum Dienst für den Lehensherrn als Berater und Richter
  • Tributzahlungen an den Lehensherrn

Heerschildordnung und Vererbung

„Heerschild“ bezeichnete ursprünglich die Fähigkeit, ein Heer aufzustellen, aber mit der Zeit wurde dies zur Bezeichnung einer Rangstufe innerhalb des Lehenssystemes.

Das Heerschildwesen kam zu seiner vollsten Blüte im Heiligen Römischen Reich, aber fand auch im Königreich Jerusalem Anwendung.

Einfach ausgedrückt bedeutet es, dass man keine Lehen von gleichrangigen oder niedrigerrangigen Lehnsleuten empfangen konnte, ohne dass das die Stellung im Lehenssystem schwächte.

Prinzipiell konnte jeder ein Lehen mit allen einhergehenden Pflichten und Rechten empfangen, egal welchen Standes und welchen Geschlechtes. Allerdings konnten nur Leute mit Heerschild Lehen vererben und hatten beim Wechsel des Lehensherren das Recht auf Lehenserneuerung. Leute ohne Heerschild konnten auch keine Rechte und Pflichten als Lehensherren vererben; jegliche Ansprüche von deren Lehensmännern erstarben mit ihrem Tod.

Im Heiligen Römischen Reich war diese Ordnung am rigidesten; dort gab es 7 Heerschilde, die ganz unflexibel gehandhabt wurden. Im Königreich Jerusalem nahm der Heerschild nie diese Bedeutung an; dennoch war die Regel, dass im obersten Heerschild der König kam, dann die Fürsten und Grafen, dann die Barone. Die Barone fielen alle in den selben Heerschild, egal ob sie direkt vom König oder von einem Fürsten belehnt waren - es bedeutete einfach, dass sie einem Fürsten oder Grafen gegenüber potentiell den Lehnseid leisten konnten, ohne ihren Stand zu mindern. Unter den Baronen kamen in der Heerschildreihenfolge einfache Herren, unter ihnen deren Vasallen. Geistliche Herren fielen (anders als im Heiligen Römischen Reich, wo sie den zweiten Heerschild inne hielten) unter keinen eigenen Heerschild; es kam auf ihr Land an - der Patriarch fiel in den Rang eines Barons, andere Bischöfe oft nur in den eines einfachen Herrn.

Doch auch hier gab es bestimmte Ausnahmen; zum Beispiel hatte der Baron von Beirut selber Vasallen, die auch im baronialen Stand waren.

Vererbung

Ein Mann mit Heerschild konnte ein Lehen nur an sein eigenes Fleisch und Blut vererben. „Fluchtsale“, also Testamente, die anderen Leuten nach dem Tod des Lehensmannes das Lehen zusprechen, wurden allgemein als nicht gültig angesehen - auch wenn das der Begünstigte des Testaments nicht so sehen wollte. Auch konnte ein Fluchtsal, das einen Sohn vor anderen begünstigte, als gültig angesehen werden, doch sicher war diese Position nicht.

Die Ausnahme waren Geistliche mit Heerschild; sie vererbten nicht an Söhne, sondern an ihre Nachfolger im Amt. Auch konnten Lehen nur von Leuten, die das betreffende Lehen in ihrem Besitz hatten, vererbt werden. Wurde einem Lehensmann der Besitz eines Lehens aber widerrechtlich entzogen, so vererbt er dennoch zumindest den Anspruch auf das Lehen weiter.

Nachfolgeregelung

Üblicherweise war das geltende Recht bezüglich Lehensteilung agnatisch-kognatische Erbteilung. Dies bedeutete, dass die Söhne des Verstorbenen sich ihr Erbe untereinander aufteilen mussten. Oft war es so, dass dabei der erste Sohn das Lehen allgemein erbte, die jüngeren Söhne hingegen eine Apanage bekamen, das heißt, dass sie, mit Land aus dem Besitz der Familie ausgestattet, Lehensmänner des ersten Sohnes wurden, um trotz Nachgeborenheit den Lebensstandard eines Adligen aufrecht erhalten zu können. Manchmal teilten sich die Söhne auch das Lehen, ohne gegenseitig Lehnsleute zu werden - dies bedeutete, dass sie alle im selben Heerschild verblieben.

Starb ein Lehensbesitzer ohne Söhne, so wurde die Hinterlassenschaft zwischen den Töchtern geteilt – eine unübliche Regelung im mittelalterlichen Feudalismus, die durch die hohe Todesrate von Adligen im Heiligen Land erklärt wird. Diese mussten dann aber (wenn sie es noch nicht waren) auch heiraten, damit der für das Lehen geschuldete Militärdienst erfüllt werden konnte. Dazu mussten die "Lehnserbinnen" einen von drei Männern aussuchen, die ihnen ihr Lehnsherr vorgesetzt hatte. Selbst wenn der Vater Söhne hatte, konnten manchmal aber auch die Töchter durchsetzen, dass sie einen Teil des Erbes erhielten.

Starb ein Lehensmann kinderlos, so fiel es an andere Erbberechtigte (d.h. Leute, die von Vorfahren her Anspruch auf das Lehen haben). Dazu gehörte, was einzigartig für das Königreich Jerusalem war, auch die Frau des Lehnsmannes. Der Lehnsherr konnte sie als Erbin ihres Mannes belehnen, aber sie musste dann, als Lehnserbin, wie üblich einen von drei Männern aussuchen, die ihr vom Lehnsherrn vorgesetzt wurden, damit dieser dem Lehnsherrn Militärdienst leisten konnte.

Gab es auch solche Erben nicht, fiel das Lehen als sogenanntes "erledigtes Lehen" zurück an die Krone.

Lehnsobjekte

Lehnsobjekte waren meist Ländereien unterschiedlicher Größe, daneben auch Burgen, Klöster oder Herrschaftsbefugnisse, Ämter (Burggrafen-, Vogt-, Meieramt), Rechte (Markt-, Fähr-, Zoll-, Münzrechte) und Rentenbezug (feodum de bursa, "Rentenlehen", "Kammerlehen").

Rechtes Lehen

Ein rechtes Lehen war das klassische Lehen des Adels. Es beinhaltete vollkommene Besitztums- und Nutzungsrechte. Der Lehensmann hatte das Lehen in seinem Besitz. Das heißt nicht, dass es sein Eigentum war, sondern, dass er unter Ausschluss aller anderen die Nutzung und den Gewinn daran innehatte.

Anwartschaft

Eine Anwartschaft war eine Art von Lehen, welches der Lehensherr auch ohne Zustimmung des Lehensmannes vergeben konnte. Mit ihr erhielt man nicht den Besitz über ein Lehen, sondern nur den Anspruch darauf. Wenn der Lehensmann, der zur Zeit der Erlangung der Anwartschaft das Lehen besaß, ohne Erben starb, bekam es der Anwärter. Überlebten etwaige Erben den betreffenden Lehensmann, erlosch die Anwartschaft. Eine Anwartschaft konnte auch nicht vererbt werden. Bei zwei gegebenen Anwartschaften ging die früher gegebene vor.

Gesamtlehen

Bei einem Gesamtlehen bekamen zwei (oder mehr) Leute ein Lehen, von denen jedoch nur einer den Besitz eines Lehens erhielt. Jedoch konnte dieser nur mit Zustimmung des anderen Belehnten Lehensmänner auf seinem Lehen einsetzen oder entlassen. Nach dem etwaigen Tod eines Lehensbesitzers ohne Erben wurde der Besitz an den anderen Belehnten vererbt. Wenn das Lehen nicht als Gesamtlehen von Anfang an vergeben wurde, sondern jemand als Lehensmann einem schon existierenden Lehensmann hinzugefügt wurde, so nannte man dies eine Eventualbelehnung.

Jegliche Rechte der Belehnten untereinander entfielen, wenn die Belehnten ihr Lehen untereinander aufteilten und jeweils einen Teil des Lehens in ihren Besitz nahmen. So konnten auf die Lehensleute, die vorher keinen Besitz am Land gehabt hatten, ihr Lehen weitervererben, denn man konnte kein Land, welches man nicht selber in Besitz hatte, vererben. Allerdings verloren die Lehensmänner damit ihre Lehensansprüche untereinander.

Belehnungszeremonie

Die Belehnung, auch Investitur genannt, geschah durch einen rituellen Akt, bei welchem der Lehensmann den Lehensherren mit gefalteten Händen und samt Kniefall um das Lehen bat. Dann musste der Lehensmann den Lehnseid leisten, der ihn zu Treue, Heerfahrt und Hoffahrt verpflichtete, und bei dem ihm vom Herren ein sinnbildlicher Gegenstand, zum Beispiel ein Stab, ein Handschuh oder ein Münzprägestempel überreicht wurde. Dem Verzicht auf ein Lehen hatte die Treuaufsagung vorauszugehen; er wurde durch einen der Investitur ähnlichen Akt vollzogen. Vom 11. Jh an wurden Lehensmänner des Königs durch symbolische Überreichung einer Fahnenlanze vom König in ihre Amtsfunktion eingeführt, vom 12. Jh. an wurden Bischöfe und Erzbischöfe durch Übergabe eines Zepters in ihre weltlichen Herrschaftsrechte eingesetzt.

Neubelehnungen hatten innerhalb von einem Jahr, 6 Wochen und 3 Tagen stattzufinden, wenn entweder der Lehensmann oder der Lehensherr starb und seine Lehensrechte weitervererbte. Wenn der Lehensherr die Belehnung ohne guten Grund ablehnte, konnte der Lehensmann sein Gut behalten, ohne dem Lehensherrn gegenüber jegliche Dienstpflichten zu haben. Gute Gründe für die Ablehnung konnten ein mangelhafter Erbanspruch (beispielsweise Unehelichkeit) oder Ächtung sein.

Lehnsgericht

Über lehnsrechtliche Streitigkeiten entschied das Hohe Gericht, das unter dem Vorsitz des Königs tagte. Ein Missbrauch in Punkto Lehensrecht wurde hart bestraft — nach dreimaliger erfolgloser Klage musste ein Lehensmann ein Strafgeld zahlen.

Lehensabsprechung

Außerdem galt, dass eine Lehensabsprechung gültig war, wenn sie in der Gegenwart des Lehensbesitzers geschah und dieser nicht widersprach.