Kategorie:Gesellschaft

Aus Scriptorium

Der Aufbau der Gesellschaft im Königreich Jerusalem war für das Mittelalter einzigartig; dies ergab sich aus der Geschichte des Kreuzfahrerstaates, welcher durch den ersten Kreuzzug in der Levante aus dem Boden gestampft wurde. Der grundlegende Aufbau mit seinen drei Ständen ähnelte einem typischen europäischen Staat, wie Frankreich, England oder das Heilige Römische Reich, aber diese Struktur wurde einer schon lange vor den Kreuzzügen existierenden Kultur aufgestülpt, welche viel mehr mit der von Kairo, Bagdad oder Mekka gemein hatte als mit der von Paris, London oder Venedig, welche die Kreuzfahrer aus dem Abendland mitbrachten.

Es gab 4 grundlegende Gesellschaften im Königreich - die abendländischen Christen, auch Lateiner oder Franken genannt; die morgenländischen Christen, auch Syrer genannt; die Muslime, auch Sarazenen genannt; und die Juden.

Die Gesellschaftsschichten dieser 4 Gruppierungen und ihre Verhältnisse zueinander werden hier angerissen.

Gesellschaftsschichten der Lateiner

Die Abendländer des Mitelalters unterteilten sich in 3 Stände. Diese Standesunterschiede importierten sie auch ins Heilige Land, welches sie kolonisierten. Die 3 Stände waren

Der Standesunterschied unter den Abendländern manifestierte sich beispielsweise in der Kleidung, den Anreden und der Fähigkeit, gewisse Ämter zu bekleiden. Es war unschicklich, Ämter über oder unter seinem Stand zu bekleiden, und somit schränkte das Standeswesen die freie Entfaltung des Individuums einigermaßen ein.

Der Adel

Der herrschende Stand war, wie in fast allen westlichen Staaten des Mittelalters, der Adel.

Der Adel setzte sichaus zwei Gruppen zusammen. Die erste Gruppe bestand aus den Nachfahren der Kreuzfahrer, welche im Zug des ersten Kreuzzuges das Land eroberten, welches in den Dreißigern des 12. Jahrhunderts die Kreuzfahrerstaaten darstellte. Diese hatten sich teilweise mit dem einheimischen Adel vermischt, jedoch nicht im selben Ausmaß, wie das Bürgertum sich mit den Einheimischen vermischte. Die zweite Gruppe bestand aus späteren Neuankömmlingen. Diese beiden Gruppen lagen oft miteinander im Streit. Eine typische Anschuldigung der Alteingesessenen gegenüber den Neuankömmlingen war, dass sie das Land nicht verstanden und glaubten, dass sie sich nicht den örtlichen Gegebenheiten anpassen mussten. Die Neuankömmlinge hingegen hielten die Alteingesessenen für dekadent und verweichlicht, da sie im Heiligen Land ein viel besseres und komfortables Leben führten als daheim in Europa. Beide Gruppen stammten im Königreich Jerusalem vor allem aus Nordfrankreich (inklusive Flandern, Normandie, Anjou, Champagne und Picardie); allerdings gab es auch einige Vertreter des südfranzösischen und italienischen Adels. Adlige aus anderen Ländern stellten nur eine kleine Minderheit dar. Was sie vereinte, war die Bindung an das Königreich Jerusalem, weswegen sich fränkische Adlige im Heiligen Land zusehend als Palästinenser, Galiläer oder Syrer, und nicht mehr als Angeviner, Flamen oder Normannen sahen.

Der Adel war privilegiert in Bezug auf Macht; es waren Adlige, welche die Mehrheit des Landes besaßen und fast alle Ämter im Hofstaat inne hatten. Nicht alle Adlige hatten vergleichbare Macht - wie in Europa war der Adel feudal strukturiert, mit mächtigen Fürsten, Grafen und Baronen oben, und bloßen Rittern, Edelknechten und untitulierten Adligen weiter unten.

Die Geistlichkeit

Die fränkische Geistlichkeit war durchweg römisch-katholisch. Nach dem Kreuzzug übernahmen katholische Geistliche, oft mit Gewalt und Drohungen, eine große Anzahl an orthodoxen Institutionen (wie Bischofssitze, Klöster oder Kirchen) und machten sie sich zueigen. Seither sind auch viele eigene katholischen Kirchen gebaut worden. Die Geistlichkeit hatte aufgrund der religiösen Bedeutung Jerusalems ein besonders ausgeprägtes Selbstbewusstsein im Königreich. Die Kirche war einer der reichsten und mächtigsten Landeigentümer im Heiligen Land - worin sie sich aber nicht von westlichen Königreichen unterschied. Die höheren Riegen der Geistlichkeit entstammten fast ausschließlich dem Adel. Anders als der Adel war der Herkunft der Jerusalemer Geistlichkeit durchaus vielfältig, wobei die wichtigsten Positionen, wie das Patriarchat Jerusalem, dazu tendierten, von französischen Bischöfen inne gehalten zu werden.

Geistliche waren, wie überall in Europa, geschätzt in verwaltenden Positionen, da ihre Alphabetisierungsrate um ein vielfaches höher war als in der restlichen Bevölkerung.

Das Bürgertum

Anders als in Europa war das Bürgertum nicht beschränkt auf Einwohner von bestimmten Städten mit eigenem Bürgerrecht, sondern bezog sich auf alle katholischen Zuwanderer. Nicht-katholische Einwohner von Jerusalem hatten kein Bürgerrecht, und rangierten in der Gesellschaft unterhalb. Bürger waren vertreten im Handwerk und im Handel, konnten aber auch als Diener oder Gehilfen ein Einkommen erwirtschaften. Ein weiterer typischer Beruf eines Bürgers war der des Waffenknechts. Tendenziell waren die Bürger, die zahlreiche Privilegien gegenüber den Einheimischen genossen, wohlhabend, selbstbewusst und bestrebt, sich im Leben des Königreichs mehr Geltung zu verschaffen.

Die Syrer

Die einheimischen Christen (von den Kreuzfahrern Syrer genannt), die schon lange vor der Ankunft der Kreuzfahrer das Heilige Land bewohnt hatten, stellten während der Existenz des Königreichs Jerusalem insgesamt die Mehrheit der Bewohner der Stadt Jerusalem. Machtlos und zeitweise sogar verfolgt unter muslimischer Herrschaft, erlaubte es die Ankunft der Lateiner den einheimischen christlichen Gemeinden zu blühen. Der rasante Bevölkerungsanwuchs Jerusalems von einem desolaten, verlassenen Nest kurz nach dem Massaker nach der Eroberung von Jerusalem zu einer für europäische Verhältnisse enormen Stadt von fast 30.000 Einwohnern war vor allem der gezielten Ansiedlung von ländlichen einheimischen Christen in der Stadt Jerusalem zu verdanken.

Die meisten Syrer in Jerusalem waren griechisch-orthodox, auch Melkiten genannt. Die Melkiten stellten die Mehrheit der ärmeren Schicht von Jerusalem dar - sie hielten weniger angesehene Berufe im Handwerk und im Dienstwesen inne.

Eine weitere einheimische christliche Gemeinde waren die syrisch-orthodoxen sogenannten Jakobiten. Ihre Anzahl war um vieles kleiner als die der Melkiten, mit denen sie sich ihren weniger exaltierten Status teilten.

Eine weitere Minderheit unter den einheimischen Christen waren die Armenier, welche, anders als die anderen einheimischen Christen, einen speziellen Status inne hielten aufgrund ihres Reichtums und ihrer politischen und wirtschaftlichen Fähigkeiten. Die Armenier hatten ein eigenes Viertel und waren generell ziemlich wohlhabend. Die königliche Familie stammt vom armenischen Adel ab, was den Armeniern zu besonderer Bevorzugung unter den einheimischen Christen verholfen hat. Aus diesem Grund versuchte sich die armenische Gemeinde von den anderen einheimischen Christen abzugrenzen und sah sich gesellschaftlich nicht weit unter den Katholiken - ein Selbstbild, welches Bestätigung dadurch erlangt, dass viele armenische Adlige sich einen Namen unter den Franken gemacht haben und auch in deren Familien einheirateten. Im Gegenzug zu den anderen christlichen Kirchen, deren Gotteshäuser und Gelder größtenteils von den Katholiken übernommen wurden, überstand die Armenische Kirche und ihre Institutionen, sowie die armenische Diözese von Jerusalem, die Kreuzzüge intakt. Die armenische Kirche konnte ihren Reichtum und ihren Einfluss seit dem ersten Kreuzzug sogar noch vergrößern, unbenommen ihrer für den Katholizismus häretischen Glaubensbekenntnisse.

Die Juden

Die Juden verloren nach dem Massaker an der einheimischen Bevölkerung 1099 schlagartig die Bedeutung, welche sie vorher inne gehabt hatten. Anders als die Muslime, waren die Juden niemals komplett aus Jerusalem verbannt worden, mussten aber stets hohe Zahlungen an die Krone leisten, um verbleiben zu können. Wie in Europa waren einige Juden im Bankgeschäft tätig, wobei diese Tätigkeit in Jerusalem eher die Templer und die Venezianer übernahmen. Eine (stereo)typische Tätigkeit der Juden in Jerusalem war das Färberhandwerk, welches sie zu monopolisieren versuchten, um sie für die Könige von Jerusalem unabdingbar zu machen.

Vor der Eroberung Jerusalems lebten die Juden im Nordosten der Stadt; später wurde dieser Bereich von Syrern besiedelt, und die Juden bauten sich ein neues Leben im ärmlichen Südosten auf.

Die Muslime

Die Muslime - Angehörige der Islamischen Religion, und somit die herrschende Schicht vor den Kreuzzügen - waren im Königreich Jerusalem, trotz großen Auswanderungswellen nach dem ersten Kreuzzug, in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts die größte - vor allem auf das Land konzentrierte - Bevölkerungsschicht. Aus der Stadt Jerusalem jedoch waren sie zeitweilig verbannt worden, und stellten keinen sonderlich großen Anteil der Bevölkerung der Stadt selber. Konzentriert waren die Muslime um die Via Dolorosa im syrischen Viertel, wo noch immer eine Moschee stand. Sie standen gesellschaftlich weit unten, und wurden gequält von hohen Abgaben, die sie an die Krone zahlen mussten für ihren Verbleib in der Stadt. Jüngst reduzierte sich die Anzahl der muslimischen Bewohner Jerusalems abermals aufgrund einer Auswanderungswelle, die durch Angst vor christlichen Übergriffen angetrieben wurden. Dennoch erhielt die muslimische Gemeinschaft von Jerusalem eine funktionierende religiöse Instanz, angeführt durch einen Mufti und Ulama, auf. Die Jerusalemer Muslime sind fast durchgehend Sunniten.

Die Sklaven

Sklaven waren, unabhängig von ihrer Religion, die niedrigste und geringfügigste Bevölkerungsschicht des Königreichs Jerusalem. Anders als in Nordeuropa, wo der Sklavenhandel im 12. Jahrhundert unprofitabel geworden war, blühte er weiterhin im Mittelmeerraum. Viele Sklaven waren Abkömmlinge von muslimischen Kriegsgefangenen im ersten Kreuzzug, oder muslimische Kriegsgefangene in späteren Feldzügen, welche gezwungen wurden, den Franken zu dienen. Allerdings hatten auch einige Syrer, Muslime und Juden Sklaven. Es war im Königreich Jerusalem generell verboten, sich christliche Sklaven (inklusive Sklaven, die zum Christentum konvertiert waren) zu halten - doch dieses Verbot wurde ziemlich oft missachtet.