Ich wollte mal einen kleinen Post erstellen über das Ihrzen und Duzen im Mittelalter. Ich sehe da manchmal, wie sich Leute aus unteren Bevölkerungsschichten ihrzen - und da nehme ich mich auch nicht aus! Die längste Zeit hatte ich auch keine Ahnung, wie das funktioniert, aber ich habe mal recherchiert, wie das mit dem Ihrzen und Duzen im 12. Jahrhundert war.
Das war die Zeit, bevor sich Hinz und Kunz zu ihrzen anfingen (14. und 15. Jahrhundert). Duzen war im 12. Jahrhundert die normale Anrede, zumindest im 3. Stand. Das Ihrzen war vorbehalten den Personen, denen man Respekt schuldig war - nicht nur freundschaftlichen oder liebevollen Respekt, sondern denen man Erhabenheit und Respektabilität zugestand.
Geihrzt wurde stets, wenn die angesprochene Person im gesellschaftlichen Status über den Redner stand und adlig war. Insbesondere wurde geihrzt, wenn der Angesprochene ein Ritter oder noch wichtiger war; da wurde auch von oben herab geihrzt.
Geihrzt wurden auch Priester und Bischöfe, aber keine Ordensgeistliche (außer im ritterlichen Rang oder darüber).
Geihrzt wurden auch wichtige Persönlichkeiten der Gesellschaft, welche älteren Jahrganges waren. Zum Beispiel könnte ein alter, angesehener Handwerker, der schon bei der Eroberung von Jerusalem dabei gewesen war, von anderen Leuten geihrzt werden - ebenso wie eine alte, weise und respektable Frau.
Man ihrzte auch Arbeitsgeber, wenn diese weit über einen standen - zum Beispiel würde ein Tagelöhner seinen Handwerker und ein Gehilfe seinen Kaufmann ihrzen.
Das Ihrzen wurde in einer Hinsicht auch noch eingesetzt - zur Abgrenzung. Wenn ein Bürger einen anderen Bürger mit Ihr anspricht, klingt das gerne oft feindselig! Das ist, weil der andere damit ausdrückt, dass er ihn nicht als Teil der Gemeinschaft sieht, sich zu ihm distanziert und mit ihm nichts zu tun haben will. Aus diesem Grund kann sich ein dünnhäutiger Bürgerlicher sogar angegriffen fühlen, wenn er von einem Gleichrangigen geihrzt wird.
Allerdings ist auch oft das Duzen einer hochrangigen Person ein Faux-Pas, weil es herablassend klingt.
Wie es sich zwischen Kindern und Erwachsenen verhielt, habe ich nicht recht rausbekommen. Im späteren Mittelalter wurde von Kindern oft erwartet, dass sie ihre Eltern ihrzten, aber ich glaube nicht, dass das schon zu unserer Zeit so war. Ich denke, das können die Familien untereinander regeln - ein besonders strenger Vater, der viel auf seine Respektabilität gibt, kann sich schon einmal erwarten, dass seine Kinder ihn ihrzen
Nicht einmal diese Regeln sind pauschal einsetzbar. Es gibt mehr als genug mittelalterliche Textstellen, in denen Leute zwischen Ihrzen und Duzen herumsprangen, manchmal sogar im selben Satz. oftmals widerspiegelte der Wechsel zwischen Ihrzen und Duzen einfach einen Wechsel in der Intensität des Gesprächs - wenn über Kriegsstrategien und Politik geredet wurde, ihrzte man sich unter Adligen, aber wenn man danach über Freizeitvergnügungen sprach, ging man zum Du über.
Allgemein kann gesagt werden, dass sich der 3. Stand und die niedere Ordensgeistlichkeit duzte (mit der Ausnahme von besonders respektablen Persönlichkeiten), der Niederadel sich nicht erwarten konnte, geihrzt zu werden (aber vor allem von niederen Schichten geihrzt wurde), und der Hochadel und der höhere 1. Stand sich ihrzte.
Und im Zweifelsfall lieber mal zu oft geduzt, besonders wenn man eine freundliche ID spielt Noch heute ist ja auch noch z.B. in der Schweiz, Westösterreich und Südwestdeutschland das Massen-Duzen unter "Bürgern" und das "Ihr" für Respektpersonen üblich, da hat sich seit dem Mittelalter nicht ganz so viel geändert wie anderswo^^